Psychomotorik / Sensomotorik

Es gibt drei Kompetenzorientierungen der Förderung im motorischen Bereich durch Heilpädagogisches Reiten und Hippotherapie

  • Förderung der Motilität, d.h. die Gesamtheit aller Bewegungsvorgänge im Sinne von Beweglichkeit
  • Förderung der Motorik im Sinne der Einwirkung auf willkürliche Bewegungen, Förderung der Bewegungsfreudigkeit und Bewegungskoordination sowie einer Erweiterung des Bewegungsrepertoires
  • Förderung der Psychomotorik im Sinne einer Einwirkung auf körperliche Ausdrucksfähigkeit, z.B. durch analoge Kommunikation mit einem Tier.

Hier wird die Verbindung und Überschneidung mit hippotherapeutischen Elementen im Heilpädagogischen Reiten deutlich.
Das im Schritt gehende Pferd überträgt seine Bewegung, die etwa den Grundreflexmustern eines Neugeborenen entspricht, auf das passive Kind.
Diese Bewegungsübertragung ist dreidimensional, das heißt das Pferd versetzt durch seine eigene Bewegung das Becken des Patienten in dieselbe Vorwärtsbewegung, der Oberkörper folgt durch kleine Streck- und Beugebewegungen zwischen Brust und Lendenwirbelsäule:

Das Pferd als krankengymnastisches Übungsgerät?

Das Kippen des Beckens nach vorne im Wechsel mit der Beckenaufrichtung, die Auf- und Abbewegung des Körpers und die Rotation nach beiden Seiten bilden dieses dreidimensionale
Bewegungsmuster. In einer Minute erfährt der Patient dieser Schwingungsimpulse. So entstehen Bewegungsmuster, die die physiologischen Gangbewegungen des Menschen so gut nachempfinden können wie bisher keine andere krankengymnastische Methode und wie kein anderes krankengymnastisches Übungsgerät.

Über diese gangtypische Vorwärtsbewegungen werden Haltungsreaktionen geübt, Balance und Gleichgewicht werden durch feinste Koordinationsübungen erzielt und trainiert.

Um sich den Bewegungen des Pferdes anpassen zu können, befinden sich die Muskeln des Patienten, der zunächst passiv auf dem Pferd sitzt, in einem ständigen Wechsel von
Spannung und Entspannung im Sinne von dynamischer Muskelarbeit. Rumpf und Becken werden also für den aufrechten Gang trainiert, Balancetraining und entspannter Muskelaufbau sind hier gewährleistet, auch wenn eigene Gehversuche dem Patienten z.B. aufgrund einer vorhandenen Lähmung verwehrt bleiben.

Die grundlegende Voraussetzung der Ausbildung und Förderung der Fähigkeiten und Fertigkeiten im motorischen Bereich ist das Vorhandensein eines Körperschemas.

Als spezielle Übungen zur Erfassung des eigenen und eines fremden Körperschemas sind zum Beispiel verschiedene Zeige-Übungen im Heilpädagogischen Reiten hilfreich, zu denen in mündlicher Form angewiesen wird, wie z.B. das Zeigen mit dem rechten Zeigefinger zunächst auf das eigene linke Ohr, dann auf das des Pferdes. Außerdem soll durch diverse Übungen das Erfassen von Begriffen wie vorn- hinten- neben – unten – oben in Beziehung zum eigenen Körper gefördert werden, etwa durch Anweisungen wie „Klopfe dem Pferd vorne auf die Brust und halte dich oben an der Mähne fest“.

Ein Körperschema bedeutet also eine räumliche Vorstellung vom eigenen Körper, basierend auf dem kinästhetischen Sinn, der all jene Empfindungen umfasst, die ohne ergänzende Mithilfe anderer Sinne über die Lage und die Bewegung der Körperglieder Aufschluss geben, z.B. Druck- und Berührungsempfindungen, Muskelbewegungen etc.

Um diese Empfindungen verarbeiten und gebrauchen zu können, müssen sie erst einmal im Gehirn geordnet werden.

Jeder Mensch kommt mit einem Minimum an Fähigkeit zu dieser sog. sensorischen Integration, der wichtigsten Art und Weise sinnlicher Verarbeitung, auf die Welt. Dennoch muss die sensorische Integration durch beständige Auseinandersetzung mit vielen Dingen in dieser Umwelt entwickelt werden, um durch die Überführung von Empfindungen zu Wahrnehmungen zu einer „inneren Landkarte“ , einer Vorstellung der Lage seines eigenen Körpers im Raum, zu gelangen. Somatosensorische, kinästethische, visuelle und auditive Erfahrungen werden beim Spielen und bei Bewegung gesammelt und integriert, um einen Ausgangspunkt für die Bewegungsplanung zu schaffen. Verantwortlich hierfür sind die drei Basissinne Propriozeptiv- (Eigenwahrnehmung und Tiefensensibilität) , Vestibular- (Gleichgewicht) und Tastsinn.
Ist die sensorische Integration gestört, sind Anpassungsreaktionen im Sinne einer sinnvollen, zielgerichteten Antwort auf sinnliche Erfahrungen in der Umwelt nicht möglich, es können unter anderem folgende Probleme auftreten:

  • Entwicklungsverzögerungen und –Diskrepanzen
  • Verzögerte Sprachentwicklung und Kommunikationsprobleme
  • Aufmerksamkeitsdefizite, Verhaltensauffälligkeiten und Hyperaktivität
  • Handlungsungeschicklichkeit
  • Lernprobleme
  • Psychosomatische Schwierigkeiten

An den hier kurz dargestellten Auswirkungen einer nicht optimal oder schlecht funktionierenden sensorischen Integration lässt sich erkennen, dass Einflussbereiche der sensorischen Integration sich keinesfalls auf den motorischen Bereich beschränken. Sie ist nicht nur die Grundlage von fein- und grobmotorischen, sondern auch von kognitiven Fähigkeiten. Störungen der sensorischen Integration können das vestibuläre (das den Gleichgewichtssinn betreffende) System und die damit verbundenen Muskulaturen betreffen haben aber auch Einfluss auf die emotionale Entwicklung und die geistigen Leistungen wie Sprache, Lesen und Schreiben.

Bei der Förderung im motorischen Bereich durch das Heilpädagogische Reiten spielen hier besonders der Aufbau des vestibulären Systems und die Regulierung des Muskeltonus durch Kontakt mit dem Pferd und die übertragene Bewegung des Pferdes eine Rolle. Das Pferd bietet viele verschiedene Reize für alle drei Basissinne, beispielsweise einen taktilen Stimulus beim Putzen und Streicheln des Pferdes, unterschiedliche Beschaffenheit von Fell und Mähne, weiche, harte, trockene, feuchte Stellen sowie Körperwärme und Atem des Pferdes. Taktiler Hyposensibiltät kann hier durch das hohe Reizangebot entgegengetreten werden.

Geschichtlicher Hintergrund

Kindern mit einer taktilen Hypersensibilität soll mit vorsichtigem, langsamem Vorgehen ein angstfreier Zugang zum Pferd ermöglicht werden. Die Möglichkeiten der Schulung des propriozeptiven Systems reichen von Stallarbeit über die notwendige Kraftdosierung beim Putzen des Pferdes oder im Umgang mit verschiedenen Materialien wie Futter, Heu, Steine etc. Gerade beim Putzen ist das Kind mit ständigen Veränderungen in Beschaffenheit des Fells und im eigenen Muskeltonus ausgesetzt, was stimulierend wirkt.

Sensomotorisches Basistraining mit dem Pferd als Fundament zur Erweiterung des kognitiven und sozial‐emotionalen Repertoires.

Nicht selten wirken Kinder, deren propriozeptives System gestört ist, grob mit dem Pferd, da sie selbst feste Berührungen brauchen, um sich zu spüren. Hier ist es am Therapeuten, regulierend einzugreifen, um einen dosierten Einsatz beider Hände zu erreichen. Auch unkontrollierte und hektische Bewegungen können durch den gleichmäßigen Bewegungsrhythmus des Pferdes in zweckvolle und harmonische Abläufe umgewandelt werden. Kinder mit einer vestibulären Hyposensibilität brauchen ebenso starke Reize.
Tempo- und Richtungswechsel sind hilfreich, um den Muskeltonus aufzubauen. Durch den Wechsel der Bewegungsarten lernt das Kind, sein Gleichgewicht immer wieder neu herzustellen, durch die gangtypischen Bewegungsmuster wird die Koordination beider Körperhälften geschult. Mit verschiedensten Übungen können die Anforderungen gesteigert
werden, z.B. verschiedene Stellungen auf dem Pferderücken oder das Überwinden von Hindernissen mit dem Pferd, variabel z.B. durch Hängenlassen oder Ausstrecken der Arme.
Die unterschiedlichen Bewegungsübungen werden immer den individuellen Gegebenheiten des Kindes angepasst. Dem entwicklungspsychologischen Konzept Piagets zufolge bilden die motorischen, und perzeptuellen Fähigkeiten den ‚sensorischen Unterbau’, der als eine Grundlage aller kognitiven Fähigkeiten anzusehen ist.